Ein kurzer Ausflug in die Geschichte der Musikphysiologie
- elweninger
- 14. März
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Von den ersten Ansätzen zur Etablierung an den Universitäten
Allererste Hinweise für eine ökonomische und einer freien Spieltechnik dienenden Instrumentalhaltung, beziehungsweise Atmung finden sich bereits 1752 bei Johann Joachim Quantz in seinem Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen und 1756 in Leopold Mozarts Violinschule. Alfred Ephraim veröffentliche sein Werk Über die Hygiene des Gesangs 1899. Musikwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Musikpsychologie dokumentieren die Schriften von Ernst Kurth (Musikpsychologie, 1931) und Helga La Motte-Haber (Musikpsychologie, 1938). Eine besondere Stellung sei hier Gerrit Onne van de Klashorst (1927-2017) eingeräumt. Van de Klashorst, Pianist und Physiotherapeut, kannte Siegfried Eberhardt aus dem elterlichen Musiker-Hause persönlich. Von Siegfried Eberhardt sind in diesem Zusammenhang drei Veröffentlichungen von Bedeutung: Die Lehre von der organischen Geigenhaltung (1922), Körper in Form und Hemmung (1926) und Hemmung und Herrschaft auf dem Griffbrett (1931), in dem Eberhardt erstmals von seiner Dispositionslehre spricht. Im zuletzt erwähnten Buch sind Kapitel zu finden wie Disposition und die Gelingensform des Körpers; Die Tragik großer gehemmter Meister.
Van de Klashorst entwickelte das Konzept der Dispokinesis. Dabei geht es ihm darum, eine körperliche und emotional-mentale Disponiertheit zu erreichen. In der Dispokinesis wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch mit der Aufrichtung das Wissen über seine persönliche Disposition bereits gefunden hat, folglich über die bewusst reflektierende Wiedererarbeitung seiner Aufrichtung seine Disposition wieder finden kann. Hierbei ist anzumerken, dass van de Klashorst nicht nur inspiriert von den Methoden der Körperarbeit seiner Zeit ist, wie zum Beispiel von Heinrich Jacoby (1889-1962), einem Urvater der der elementaren Musik- und Bewegungspädagogik. Van de Klashorst stand auch in persönlichem Kontakt und Austausch mit Moshé Feldenkrais, was sich in seinem pädagogischen Zugang abzeichnet. Van de Klashorsts Hauptinteresse lag auf den sensomotorischen Entwicklungs- und Reifungsprozessen des Menschen, wobei er die Wurzeln physischer und psychischer Fehlhaltungen formulierte und diese in ihrer sich wechselseitigen Verstärkung als Behinderung eines freien Musizierens in Technik, Spielfluss und Ausdruck erkannte. 1977 verfasste er seine Schrift Einleitung in die Dispokinesiotherapie und -Pädie. Seit 1953 verknüpfte er Dispokinesis und Atemtherapie in seinem Berufsfeld als Physiotherapeut. 1958 gründete er ein eigenes Institut in Wageningen und arbeitete in enger Kooperation mit medizinischen Fachgebieten. In Wien war es die Pianistin und Atemlehrerin Hilde Langer-Rühl (1911-1990), die an der damaligen Hochschule für Musik und darstellende Kunst basierend auf der Atemlehre von Schlaffhorst-Andersen eigene Forschungen und speziell für Musiker_innen entwickelte Übungen einbrachte. Ihr Anliegen war es, aus dem Atemfluss Bewegung, Spielbewegung und musikalische Ausdruckskraft zu entwickeln. 1974 begründete sie den Lehrgang Atem-, Stimm- und Bewegungserziehung für Instrumentalisten und wirkte bis 1987 an der Hochschule, heute Universität mdw. Dieser Lehrgang besteht noch heute. Zeitgleich forschte Christoph Wagner (1931-2013), Mediziner und Musiker in Hannover zu arbeitsphysiologischen Fragen Instrumentalist_innen und deren Hände betreffend. 1974 wurde Christoph Wagner als Professor an die Hochschule für Musik und Theater Hannover berufen. Dort gründete er ein Institut für Musikphysiologie. Sein Nachfolger Eckart Altenmüller ist ebenfalls Musiker und Arzt. Seine Forschungen liegen im Gebiet der Neurophysiologie und Neuropsychologie und prägen die speziellen Ansätze der Rehabilitation von professionellen Musiker_innen im Rahmen der Musikermedizin.
Heute ist in vielen Musikuniversitäten Musikphysiologie als Angebot für Studierende verfügbar.
Eine Weiterbildung Musikphysiologie im künstlerischen Alltag gibt es an der Universität der Künste Berlin. Auch die Züricher Hochschule der Künste bietet eine Weiterbildung Musikphysiologie an. An der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst mdw wird neben dem bereits erwähnten Lehrgang auch ein weiterbildender Zertifizierungs-Lehrgang Musikphysiologie angeboten.
Dennoch befindet sich der praxisorientierte Bereich noch in den Kinderschuhen. Der Großteil der Lehrenden an Musikschulen hat dieses Angebot im eigenen Studium nicht kennenlernen können. Die Möglichkeit einer oft einfachen Effizienzsteigerung des Übens und Musizierens und die Notwendigkeit einer umfangreichen Prophylaxe von Anfang an auf der Basis der Musikphysiologie ist der breiten Masse noch gar nicht bekannt.
1994 wurde bereits die Deutsche Gesellschaft für Musik und Medizin DGfMM gegründet. In Österreich ist dies entsprechend die ÖGfMM, in der Schweiz die SMM. Die Gesellschaften verpflichten sich der Wissenschaft, Forschung, Lehre und Vernetzung in den Fachbereichen Musik, Medizin, Physiologie und Psychologie. Sie organisieren unter anderem nicht nur jährliche Symposien in den deutschsprachigen Ländern, sondern auch internationale in weiteren europäischen, amerikanischen und asiatischen Städten.